Wieder gut, Immergut!
Unsere Eindrücke vom Musikliebhaberfestival in Neustrelitz in 27 Bildern
Fotos & Texte: Georg Hundt
Veranstalter, Vereine, Landkreise und Land versuchen es wieder mit Festivals. Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte waren das in den letzten Wochen der dreigeteilte Ersatz fürs Fusion Festival in Lärz, dem Plan:et C alpha, beta und Mitte September gamma; und wenige Kilometer weiter östlich am Rande von Neustrelitz das Immergut Festival. Das haben wir uns mal (wieder) angeguckt.
Ärgerten sich einige vor kurzem noch über eine Fußball-EM mit vollen Besucherrängen, zeigen die Livemusikfestivals gerade, wie es gehen kann. Tägliche Corona-Tests und halb so viele Besucher wie sonst.
Statt der üblichen knapp 7000 waren es dieses Jahr auf dem Immergut-Festival, dass normaler weise am letzten Mai-Wochenende stattfindet, gut 3500 Besucher. Fast ganz ohne Blaulichteinsatz.
Die Freude, sich wieder zu sehen war um so größer. Denn das Immergut Festival in Neustrelitz ist von Anfang an ein gemütliches Musikliebhaberfestival mit äußerst friedlichem Besucherstamm.
Und von denen wird das Lineup eher als Aufgabe des Bookings gesehen, sich mit dieser Band und jenem Künstler mal auseinander zu setzen. Und so sind einige Musikfreude schon bei Beginn des Festes in ihren Leidenschaften verbrüdert. Kostprobe?
Also nicht (nur) blankes abrocken zu Superstars auf der Bühne, sondern kollektives Bewundern vom Musikerhandwerk in den Sphären der Indiemusik. Und dennoch nicht ohne Spaß und Rumspringen, wie Publikum und Band bei "Rikas" bewiesen. …
... Die vier schwäbischen Herren spielen in Musik, Optik und Darbietung mit zahlreichen Zitaten seit den Beachboys. Das Ergebnis vor der Bühne: Freude am Zusehen der Musikanten, an Entdecken von Späßen und Anspielungen und reichlich Bewegung.
Andere Bühne. Ganz anders geht es bei Blond ab. Nein, nicht die schwedische Boygroup von vor zwanzig Jahren, sondern zwei Schwestern und ein Kumpel aus Chemnitz…
...drehen sich die Texte um Partymischgetränke, Moden und äh.. Frauenthemen, zeigt die Musik: Die drei haben Spaß. Das schlägt sich aufs Publikum nieder.
Lied "Tarifgebiet", Text „Als Reisender im ICE tut Sachsen-Anhalt niemand weh… Rauszuschauen bleibt ein Spaß, ein kleiner Schauer und das war’s“.
Lied "Nasenspray", Text „Keiner hält ihn auf, keine Rezeptpflicht, keine Rezeptpflicht“.
… Album "Warum Overthinking dich zerstört". Bandname: "Sorry3000". Herkunft: Halle an der Saale. Auftreten = weiteres Lied: Fitness. Erst sinds Hits, dann wird zu Nachdenkstoff. Noch Fragen?
Die Hütte ist voll bei Drangsal. Der junge Pfälzer Max Gruber war schon zwei mal hier auf den Indie-Bühnen in Neustrelitz, aber nun auf ein mal mit Band, Liedern auf deutsch, in Teufelsoutfit, ohne Teufelsoutfit und vor mehr Leuten, also …
... auf der Waldbühne. Stil? New Wave, Post-Punk, Indie-Pop mit starken Einflüssen aus späten Synthiepop und erfrischendem Tempo.
Nur Zelten und Musik? Wie es sich mittlerweile auf Indie-Festivals gehört, gibt es hier auch Debatten, Kunst und Lesungen. So durften das aufmerksame Festivalvolk auf der kleinen Bühne "Birkenhain" Autoren wie dem Musikjournalisten Jens Balzer, Juliane Streich oder wie hier Paula Irmschler lauschen.
An jedem Tage auf dem Immergut geht den Lesungen und Konzerten eine Debatte voraus. Klar, nicht direkt vor einem voll besetzten Saal von Fachleuten, aber eben etlichen Kultur-, Gesellschafts- und Musikinteressierten Immergut-Gästen. Und die Themen? Relevant und gern im Kontext der Gegend: Hier ist keine Metropole, hier ist Neustrelitz; hier ist MV mit all seinen zu diskutierenden Umständen.
Hier gings darum, wie es in der aktuellen Situation um Festivals und die Festivallandschaft steht. Dabei u. a. Friederike Tesch, stellv. Vorstandsvorsitzende des immergutrocken e.V.; Kira Taige, künstlerische Leitung des Feel Festivals und Yannick Zimmermann vom c/o pop Festival.
Darüber, "wie wir miteinander reden sollten", tauschten sich hier
Kulturjournalistin und Moderatorin Aida Baghernejad, Anna Hansen von KATAPULT MV, Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der HateAid gGmbH und der stellvertretende Chefredakteur des Nordkuriers, Garbiel Kords, aus.
In einem anderen Panel diskutierten Neustrelitz Bürgermeister Andreas Grund; Bert Balke, Geschäftsführer Tourismusverband Mecklenburgische Seenplatte e.V.; Claudia Domröse Mitbäuerin der Solidarischen Landwirtschaft in Klein Trebbow, Monchi, Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet und Uwe Engelmann, Geschäftsführer Neustrelitzer Wohnungsgesellschaft neuwo über "Stadtflucht: Zieht es uns wieder aufs Land?"
"Wir wollen euch in dieser Gesprächsrunde aufzeigen, welche Standpunkte und Pläne die demokratischen Parteien für die nächsten fünf Jahre bereithalten und welchen Einfluss auch eure Entscheidung an der Wahlurne auf die kulturelle Zukunft im Land MV und Bund haben kann.", sagt uns das Immergut und Moderatorin Anne Breitsprecher zur Runde "(Festival-)Kultur in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei waren Anne Shepley (Spitzenkandidatin Bündnis 90/Die Grünen zur Landtagswahl MV), Johannes Arlt (Bundestagskandidat SPD für Mecklenburgische Seenplatte & Rostock), René Domke (Landesvorsitzender der FDP Mecklenburg-Vorpommern und Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2021), Dr. Stephan Bunge (Bundestagskandidat der CDU).
Ein Festival mitten in der Mecklenburger Seenplatte? Also ist man tagsüber schön an einem der tausend Seen, putzt und erholt sich, um Nachmittags und Abends wieder Kultur und Musik zu lauschen und zu springen bis die Beine krampfen. Also normaler Weise. Nicht dieses Jahr. Nicht wegen Corona, sondern ganz profan, weil es ständig regnet. Na dann eben Spaß und Schminken auf dem Zeltgelände. Hier eine Horde um einen alten Schul-Freundeskreis aus Neubrandenburg - Immergutstammbesucher natürlich.
Regen? Auch nur eine Einstellungsfrage. Der Livemusikbedarf ist bei allen groß, wen interessiert da Regen?!
"Eigenwillig und intensiv, stark und zugleich zerbrechlich" beschreibt das Immergut die Leipziger Musikerin June Cocó. Vor allem aber hat sie Mitleid, dass ihr aufmerksames, beseeltes Publikum im Regen stehen muss und bittet es kurzerhand auf die Bühne unters Zelt. Einen schockierten Stage-Manager später zeigt sich: Die Stimmung ist noch viel intensiver als zuvor und Jane Cocó nutzt die Nähe, die Leute als Chor einzusetzen.
Ein "Psychedelic Rock Abenteuer" nennt das Immergut die Londoner Damen von Los Bitchos. Zusammen mit dem Namen ist damit alles gesagt. Fetzt!
Nein, alberne Kostüme und Accessoires kommen auf Festivals nie aus der Mode. Und ganz ehrlich: Jetzt erst recht nicht! Gerade bei so sympathisch erfreuten Zeitgenossen.
Na, den kennen wir doch! Instrumente eingepackt, Turntables auf die Bühne! Drangsal und Freunde liefern …
...einen akkuraten Soundtrack zur Abtanz-Disko nach den Konzerten des Tages.
Und die kennen wir doch auch! Indie-Götter, bevor das jemand Indie nannte: Nach achtundzwanzig Dienstjahren und zum vierten Mal auf Neustrelitzer Wiesen beendeten die Hamburger Legenden auch diesen Jahrgang des Immergut Festivals. Und das auch noch …
... mit der Show "The Hamburg Years", in der sie ausschließlich Songs aus ihrer Hamburger Zeit von 1993 bis 2003 spielten. Puhh, nassgerockt, ausgebrüllt und mit vielen alten Immergutfreunde im tagesaktuell getesteten Arm liegen - guter Abschluss. Danke.
Das sind sie! Diese Damen- und Herrschaften haben dieser Tage drei Bühnen und treten auf nicht einer auf: Die Organisatoren des Immerguts im legendärer Künstlerbereich im Backstage mit liebevoll ostig ausgebauten Bauwagen längst vergangener sozialisitischer Tage.