Das letzte Mal Koldenhof: Falko Behrendt und Claus Lindner

Nach zehn Jahren und dreißig Ausstellungen schließt das Kunsthaus Koldenhof noch im September. Der kleine Ort, versteckt zwischen Feldberg (Seenplatte) und Neustrelitz, stand für jeweils drei hochkarätige Ausstellungen im Jahr, dazu Lesungen und Vorträge. Über das Haus, seine Initiatoren und einige Ausstellungen berichteten wir. Im Zentrum der Schauen im liebevoll zur Galerie und Begegnungsort umgebauten Dorfkrug stand immer das Spannungsfeld aus Arbeiten für die Wand und solche für den Raum. So auch bei der letzten mit Grafiker Falko Behrendt und Bildhauer Claus Lindner.

Im Eröffnungsgespräch vom 24. August mit Rüdiger Hundt sprechen die Künstler über Anregungen, Anlässe und Herangehensweisen ihrer Arbeit. Fotos und Transkribierung: Georg Hundt.

Rüdiger Hundt: Falko Behrendt und Claus Lindner kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit im Verband bildender Künstler Neubrandenburg. 1990 hatten sie ihre erste gemeinsame Ausstellung in Flensburg. Heute ihre zweite. Herzlich willkommen in Koldenhof! Wir freuen uns, dass von euch diese abschließende Ausstellung gestaltet wird.

Im Wendejahr verlässt Claus Lindner seine Geburtsheimat und Studienstadt Berlin, um ausreichend Platz für die Familie und die künstlerische Arbeit zu finden. Den passenden Ort findet er am Rande von Prenzlau. Zunächst baut er seiner Familie ein Nest, dann das Atelier. Ein Atelier für drinnen und für draußen, denn Bildhauerei braucht Luft und Licht. Ich glaube bis heute genießt er diese Situation, die ihm die Möglichkeit zu künstlerisch freiem Schaffen gibt. Er lebt und arbeitet in Prenzlau seine Ambitionen unabhängig von modischen Trends und Aufregungen.

Falko, gebürtiger Vorpommer, zieht es nach dem Studium an der HfBK in Dresden nach Neubrandenburg. Hier lebt und arbeitet er 16 Jahre lang. Er gehört zunächst zu den jungen Rebellen, die einiges neu sehen, einiges neu machen, einiges neu gestalten. Weitere junge Rebellen sitzen hier im Publikum: etwas verändert, aber noch genauso kraftvoll wie damals. Falko hat sehr schnell seinen Platz in der Kunstszene gefunden und besticht von Anfang an mit einem ganz eigenen faszinierenden Bildfindungen, mit technischer Perfektion und mit unglaublichen künstlerischem Anspruch. Seine Präsenz in bedeutenden Galerien und Kunstsammlungen Deutschlands belegen das eindrucksvoll. In der Ausstellung sehen wir Plastiken von Claus Lindner aus 44 Jahren, die älteste ist aus dem Jahre 1985 und befindet sich im ersten Raum. Die jüngste finden wir im dritten Raum: „Torero“ aus diesem Jahr.

Falkos älteste Arbeit in dieser Ausstellung stammt aus dem Jahr 1996, aber im Wesentlichen sind die Arbeiten von 2002 bis 2024 entstanden, die wir hier sehen können – also neue Arbeiten. Wir haben vor ein paar Tagen ein Gespräch geführt und etwas schlitzohrig-lächelnd sagte Claus Lindner: „Im Anfang war die Zeichnung.“ Gestatten Sie mir diese Adaption – Goethe wäre ja in vier Tagen 275 Jahre alt geworden – das war dir aber ein wichtiges Wort. Was bedeutet die Zeichnung für dich, Claus?

Claus Lindner: Das geht zurück auf eine Bitte, selbst etwas zu meiner Arbeit zu schreiben. Dieses Textstück habe ich so beginnen lassen, weil es eben auch so war: Als Jugendlicher habe ich angefangen zu zeichnen und daran Spaß gefunden. Über die Jahre habe ich das immer weiter vorangetrieben. Ich habe Grafische Techniken erlernt und als dann irgendwann die Entscheidung anstand war klar, dass es zu einem Kunststudium führen soll. Weil ich mich aber von Anfang an auch in der Zeichnung mit der Figur beschäftigt habe, habe ich mich später für die Bildhauerausbildung entschieden und konnte das Studium in Berlin-Weißensee absolvieren. Damals war das Naturstudium auch integraler Bestandteil des ersten Studienjahres. Ganz wichtig für alle, auch für die, die Mode oder Architektur studiert haben: erstmal zeichnen und Naturstudium betreiben. Und das zieht sich eben durch das durch das ganze Schaffen. Meine Zeichnungen sind vor allem freie Arbeiten, sind Aktzeichnung nach Modell und meistens nicht Vorbereitungen für Plastiken. Die entstehen in der Regel ohne Vorarbeit. Entweder mit einem Modell zusammen oder eben aus der Erinnerung und frei im Material.

Falko Behrendt: Bei mir gehört natürlich das Zeichnen zum eigentlichen Inhalt des Arbeitens. In verschiedenen Techniken, immer wieder entwickelt über die Jahre. Immer wieder muss ich an einen Satz denken, den einen Freund und Produzent der letzten Kataloge gefunden hat: „Louis Pasteur hat mal gesagt, der Zufall trifft immer auf den vorbereiteten Geist“. Das heißt also nicht nur in der Kunst der anderen.

Ich kann mich erinnern, dass wir vor ein paar Jahren eine Ausstellung „Hommage à Chardin“ gemacht haben mit ein paar Kollegen aus Dresden und Berlin, weshalb wir auch im Louvre in Paris waren. Und da war es genauso! Letztendlich blieb ich an einem wunderschönen Stillleben von ihm in einem kleinen Raum hängen – vorbei an all den berühmten Bildern, vorbei an der Mona Lisa und all den Großen, vor denen hunderte Japaner standen. Zu dem haben wir dann auch gearbeitet.
Als ich 12 Jahre alt war, habe ich mir das erste Kunstbuch gekauft, diese Welt-der-Kunst-Reihen, die es damals gab, und das war über Chardin. Und die Bilder, die da drin waren, blieben für mich immer als Anregung im Mittelpunkt. Das habe ich dann für die „Hommage à Chardin“-Ausstellung wieder bearbeitet, umgedacht, nachempfunden, nicht kopiert. Und das ist was ganz wichtiges geworden für mich. Und um wieder auf den „vorbereiteten Geist“ zu kommen: Viele der Collagen, die in der Ausstellung hängen, habe ich in diesem und letztem Jahr gemacht aus den alten zerschnitten Arbeiten von früher. Was dann eben auf dem Tisch liegt und gar nicht dafür gedacht war. Das kam von selbst die Anregung auf mich zu und ich habe das umgesetzt. Ich habe danach nicht gesucht und ich habe es gefunden. Und so war das auch bei der Radierung. Wenn man auf dem Asphaltlack auf der Kupferplatte zeichnet, sieht man ja nichts. Das sieht man ja erst, wenn es das erste Mal gedruckt wird. Nach dem Ätzen kommt dann die erste Überraschung. Die Fortsetzung dieser Überraschung ist, wenn der Druck dann abgerundet ist. Und dann druckt man verschiedene Farben übereinander, die gar nicht für einander bestimmt waren – als Test. Und da Entsteht wieder eine Sache, die ungeplant war und eine fortgesetzte Überraschung ist.

Rüdiger Hundt: Eine weitere Frage ging auch in diese Richtung: Deine klassischen Arbeiten sind ja dafür bekannt, dass mit sehr zart geführte Linien, Zeichen, Figuren ein völlig belebendes Bild entsteht, die du dann mit mit zarten Farben untersetzt hast, die die Sinnlichkeit der besonders ansprechen. Jetzt in deiner neuen Phase spielt eben die Collage eine Rolle, aber auch die pastös aufgetragene Guasch Malerei. Wie bist du dazu gekommen, die Radierungen im Prinzip mit dick aufgetragenen Aschfarbenen so zu verändern, wie wir sie jetzt im ersten Raum sehen?

Falko Behrendt: Ich bin ja von Hause aus kein Maler. Aber immer schon habe ich die ersten Korrekturen für die Radierungen auf die Probedrucke gezeichnet. Und das wurde immer selbstständiger und irgendwann dachte ich, daraus kann ich ja auch eigenständige Bilder entwickeln. Anfang der Neunziger habe ich die Radierung da drunter gelegt und die alten Probedrucke verwendet – davon habe ich ja noch stapelweise in meinen Grafikschränken. Die sind aus den Werkstätten, wurden nicht weiter verwendet, aber wegen des schönen Papiers habe ich es aufgehoben. Genau die zu bearbeiten ist eine spannende Anregung und eine schöne Variante – das mache ich bis heute. Und irgendwann kam, losgelöst von der Druckgrafik, die reine Gouachemalerei. Da ist dann nichts mehr drunter. Das ist dann wie die Sache mit den Schnipseln und den Collagen, von der ich vorher sprach.
2007 hat mir ein Freund (der mit dem Katalogen) eine Mappe geschenkt mit alten Dokumenten, die er auf dem Trödelmarkt in Berlin gekauft hat. Ob ich damit vielleicht was machen könnte, hat er gefragt, damit wir davon ein Buch machen könnten – den Rest könne ich behalten. Das haben wir dann ganz intensiv gemacht und diese Anregung habe ich auch weiter verfolgt. Das sind vor allem Protokolle von Notaren, Rechnungen und sowas. Meistens auf einem ziemlich gut geleimtem zeichnungsfähigen Papier. Eben nicht das saugfähige Druckpapier, denn das ist nicht so schön. Das sind die Grundlagen auf denen die Bilder entstanden sind.

Rüdiger Hundt: Diese Arbeiten, mit bedruckten oder beschriebenen Papieren, von denen du gerade berichtet hast, haben eine eine ganz neue Atmosphäre. Sie sind im dritten Raum, also im großen Saal zu sehen

Falko Behrendt: Das sind ja Papiere aus drei Ländern: Frankreich, Deutschland und Italien. Die, die ich zuerst bekam, die Deutschen, wurden irgendwann knapp. Vor einer Ausstellungseröffnung sagte mir ein Galerist, „ich werde dich während meines Gespräches fragen: was machst du denn, wenn das Papier zu Ende ist?“ „Da denke mir was aus bis dahin,“ meinte ich, „ich habe ja noch zehn Minuten Zeit.“ Fünf Minuten später kam ein Freund aus Frankreich zurück mit einem Umschlag, in dem französische Blätter waren. Die haben einen ganz andere Charakter: Die Schrift läuft anders, nicht so preußisch. Die Papiere sind auch von 1850 bis 70. Als mit dann der Galerist die Frage stellte, konnte ich sagen „vorhin hätte ich was anderes gesagt, jetzt kann ich sagen: Ich habe wieder welche!“ Aber auch die wurden knapp. Als ich mal in Siena in Italien war, klapperte ich die Antiquitätengeschäfte ab und fragte, was denn sowas kostet. Sie sagten was zwischen 130 und 150 Euro – das war mir dann doch ein bisschen viel für einen Bogen Papier. Gleich danach waren wir in der Nähe vom Dom essen und daneben war ein Trödelmarkt. Da stand jemand an seinem Tisch mit solchen Papieren. „Was kostet denn so ein Blatt“, fragte ich und er antwortete „Wenn du den ganzen Stapel nimmst 15 Euro.“ „Ruhig bleiben, nicht springen“, dachte ich und habe ihn den Tisch leer gekauft.

Rüdiger Hundt: Auch im dritten Raum sieht man Arbeiten, in denen plötzlich die gesamte Präsentation zum Gesamtkunstwerk wird. Das also die Papiere deiner Arbeit, deine Überarbeitungen und der Rahmen eine neue Einheit bilden, die wir früher von dir vorher auch noch nicht gekannt haben. Im dritten Raum hängt „die alte Königin“. Diese Arbeit passt für mich in diese Reihe. Vielleicht kannst du zu der Arbeit noch ein bisschen mehr erzählen.

Falko Behrendt: Ja, wie anfangs Jean Siméon Chardin, habe ich auch zu anderen historische Personen gearbeitet. Eine davon ist Diego Velázquez. Da entstand eine ganze Reihe von kleinen Gouachen (alle verteilt in der Welt) zu Velázquez Infantinnen. Von man ja in Wien im Kunsthistorischen Museum wunderschöne Beiträge und Bilder sehen kann in einer großen Reihe. Dazwischen war auch eine etwas ältere Königin. Eine Spanierin, wie man an der Hautfarbe sieht.

Rüdiger Hundt: Bleiben wir mal im dritten Raum: Ich möchte dich etwas zu den Zahlenbildern fragen, die du zwischen 2011 und 2024 gemacht hast. Einen Teil davon sind hier ausgestellt. Ich erinnere mich da an die letzte Bezirks-Kunstausstellung 1989 in Neubrandenburg: Da haben Andreas Homberg und du ein Plakat gemacht, in dem Zahlen (natürlich weil es Daten waren) eine Rolle spielen, aber auch kleine kleine Felder, Buchstaben, die aneinandergereiht werden. Eigentlich wurde da eine Informationstafel zum Kunstwerk, das von Andreas koloriert wurde. Da denke ich sehr gerne dran. Gab es da einen Zusammenhang?

Falko Behrendt: Ich habe ja ganz viele Dinge, die heißen „Garten“: „Märchengarten“ oder im „Garten der Kindheit“ oder „im Garten der Erinnerung“. Da es sich bei den alten Papieren auch um Rechnung und Protokolle über Einnahme/Ausgabe und sowas handelte, war es nicht so weit weg, sich davon anregen zu lassen. Und dann stand „Garten der Zahlen“ erst mal auf dem alten Papier, woraus dann die Lithografie wurde, die ich für die Edition Copenhagen auf dem Stein gezeichnet habe.

Rüdiger Hundt: Danke schön. Dann wende ich mich an Claus: Im Ziel der bildhauerischen Arbeit ist ja in vielen Fällen der Bronzeguss. Das ist sehr aufwendig und teuer. Welche Erfahrungen hast du mit dem Bronzeguss als Auftrag für Gießer oder vielleicht auch als eigenen Auftrag gemacht? Kannst du darüber berichten?

Claus Lindner: Als ich 1980 das Studium in Weißensee angefangen habe, gab es nicht nur eine Klasse, sondern zwei: Professor Jastram kam als Gastprofessor und hat eine Klasse geführt und die andere Klasse der Professor Schamal. Die Werkstätten der Hochschule der Bildhauerklassen war in Johannisthal, am Rande Berlins. Da wurde in Stein gearbeitet, da wurde Metall getrieben und da gab es auch eine Bronzegießerei. Wenn wir nebenan am Modell modelliert haben, hatte nebenan, auf der anderen Seite das große Saals, der Gießer an seinen Güssen ziseliert. Das klang wie Glockengeläut. Als ich das erste Mal beim Gießen dabei war und gesehen habe, wie die flüssige Bronze in die Form fließt, da war es um mich geschehen! Das das hat mich bis heute nicht losgelassen. Ich habe dann gelernt, was man wissen und können muss, um die Sachen selbst zu Bronze zu gießen und das mache ich bis heute

Rüdiger Hundt: Interessant, dass die kleinen Plastiken von dir selbst gegossen wurden, was sehr schön ist! Du bearbeitest die geschlossenen Oberflächen deiner Skulpturen häufig mit einer Patina. Egal, ob es ein Bronzeguss oder eine Kunstharzfigur ist. Kannst du zu der Technik ein bisschen was erzählen

Claus Lindner: Nachdem die Bronze bearbeitet worden ist, sind Farbunterschiede entstanden. Es ist notwendig, die wieder verschwinden zu lassen. Das macht man mit einer künstlichen Partitionierung. Man versucht also, was sonst tausende Jahre Meeresschlamm mit griechischen Bronzen gemacht haben, in kurzer Zeit herzustellen. Eine gewisse Farbigkeit ist mir wichtig.
Was wir heute von den Plastiken der alten Griechen kennen, sind ja eigentlich zerstörte Oberflächen: Auf den griechischen Bronzen waren das Farbigkeiten, die Oxidvarianten sind. Wir wissen heute kaum noch, dass die früher glatt poliert und sogar noch bemalt waren, die Bronzen. Aber für uns heute gibt es eben diese Form der Bronzepatinierung und ich halte es für wichtig, dass die nicht schwarz aussehen, sondern eine changierende Farbigkeit haben. Da werden auch Bearbeitungsspuren und selbst Fingerabdrücke sichtbar. Dadurch wird auch ein Zeichen von Schärfe des Gusses dokumentiert.
Bei der Kunstharzvariante von der „Europa“ waren jetzt auch fräs-, raspel- und andere Spuren zu sehen, die erstmal mit einer gewissen Farbigkeit überzogen werden mussten. So können Interessenten auch sehen, wie ein späterer Bronzeguss aussehen könnte.

Rüdiger Hundt: In dem Sinne, in dem du die Farbigkeit aufsetzt, war hier im Kunsthaus Koldenhof vor drei Jahren auch eine Ausstellung zu sehen: Robert Metzkes, der macht es ja auch farbig. Allerdings ganz anders und in Anlehnung an die Antike durch die pastellartigen Farbigkeit, die er draufsetzt. Interessant zu sehen, wie unterschiedlich ihr damit umgeht.
Wir haben jetzt über Arbeiten gesprochen, die eine geschlossene Oberfläche haben. Wie sieht das beim „Twister“ aus, einer Figur im ersten Raum?

Claus Lindner: Die Arbeit ist von 1997. Es ist wie das, was Falko vorhin beschrieben hat: Das der Zufall auf die Entstehung von Arbeiten Einfluss hat. So ist es mit dieser Arbeit im Wachs auch. Auf dem Arbeitstisch liegen und Wachsbrocken, Stücke, Stangen, Platten und die werden verwendet, wie sie sich anbieten: als Teil der Schulter, oder als Teil des Knies. Die werden mit dem heißen Spachtel zusammen geschweißt und so kann man seine Figur aufbauen. Wenn man es dann nicht noch zu einer Geschlossenheit weiter treibt, bleiben diese aufgebrochen Oberflächen, die dem Entstehungsprozess geschuldet sind. Wenn dass als ästhetisch wertvoller erscheint, dann reicht das. Mehr würde kein Vorteil bedeuten.

Rüdiger Hundt: In einigen Arbeiten treibst du das ja weiter bis zu fast kubistischen Anmutungen in der Bildhauerkunst.

Claus Lindner: Ja, das ist ganz klar, dass man auch mal auf Abwege geht und mal ein bisschen kubistisch arbeitet. Ich bin davon aber wieder abgekommen und habe ab 2009 wieder angefangen, im Ton zu modellieren. Also richtig wie so ein Töpfer mit feuchtem Ton über eine Drahtform Figuren zu modellieren. Die haben dann natürlich eine Geschlossenheit, weil man mit dem Daumenballen drüber fährt und hier drückt und dort knietscht und so weiter. Dadurch entstehen eben geschlossene Oberflächen. Mein Wunsch in dieser Zeit war, wieder zu einer gewissen barocken Formsprache zu finden. Weil die wenig zu finden ist in unserer heutigen Zeit in der bildenden Kunst. Es werden heute oftmals Schablonenmannekens in die Landschaft gestellt. Aus Stahl geschnittene Umrisse. Dem wollte ich einfach mit barocken Formen begegnen.

Rüdiger Hundt: Da habe ich einen Text von Christoph Tannert gelesen, ein sehr bekannter und auffälliger Kunsthistoriker: „Die Kunstlandschaft ist zu einer kreischenden und die Augen verkleisternden Suppe geworden.“ Und jetzt überziehe ich mal das Zitat: „…und Claus Lindner kämpft nicht im Circus Maximus der Popkunst. Er ist der Bewahrer großer Traditionslinien der deutschen Kunst. Er hat ein ganz eigenes Territorium abgesteckt, wo er selbst die Spielregeln vorgibt und wahrlich: Er braucht sich nicht anzupassen, nicht zu verändern, nicht zu verbiegen. Lindner ist Lindner.“ – Wie geht man mit so einer Laudatio um?

Claus Lindner: Es hat mich gefreut, dass er das auf den Punkt gebracht hat! Da kann ich nichts weiter dazu sagen.

Rüdiger Hundt: Falko, im vierten Raum sind für mich kleinformatig, aber sehr, sehr schöne Arbeiten zum Cinque Terre in Italien und auch zum Forum Romanum zu sehen. Du hast ja vorhin schon mal Siena im Zusammenhang mit dem Papieren, die da da bekommen hast, genannt. Was bedeuten dir diese Begegnungen in Italien?

Falko Behrendt: Ich war 1999 mit einem Freund zusammen, der kein Kollege in dem Sinne ist, sondern ein Hobbymaler (aber ein sehr interessierter). Der sammelt auch meine Sachen. Er fragte, ob wir nicht mal zusammen nach Italien wollen. Wir wollten nicht so weit fahren und sind im Cinque Terre geblieben. Eine ganz spannende Gegend, die mit dem Auto kaum zu erreichen ist. Höchstens mit der Bahn oder mit dem Schiff. Diese fünf traumhaft schönen Ortschaften! Da habe ich vor Ort mit Kaltnadel mit Blick auf die Landschaft gezeichnet. Ich habe mich dort schon bemüht, stark zu reduzieren und auf die auftauchenden Strukturen zu konzentrieren. Da ist diese Sechserreihe entstanden und auch ein paar Blätter, die hier nicht zu sehen sind.
Ein paar Jahre später bin ich mit dem gleichen Freund nach Rom gefahren. Wir waren in einem Hotel, das „Forum“ hieß und direkt am Forum Romanum war. Jeden Morgen sah ich aus dem Fenster diese wunderbare, rudimentäre Architektur. Auf dem Dachgarten des Hotels habe ich dann wieder vor Ort gezeichnet. Zu sehen sind hier vier Einzelteile, es gibt aber noch viel mehr. Die sind auch zusammengesetzt und koloriert. Das war wieder eine wunderbare Anregung.

Rüdiger Hundt: Schön. Sehr zu empfehlen! Schauen Sie sich, liebes Publikum, diese Reihe an im dritten Saal. Sehr sensibel und einfach beeindrucked.
Claus, Auftragswerke spielen eine Rolle in deinen Arbeit. Wir haben in der Ausstellung mehrere Vorarbeiten zu Werken im öffentlichen Raum. Was bedeuten dir diese Aufträge?

Claus Lindner: Auftragsarbeiten sind ein ganz wichtiger Bestandteil. In der Regel arbeitet man ja im eigenen Auftrag und fährt dann mit seiner Arbeiten an die Orte, in den die Ausstellung stattfinden. Man versucht also, sein Publikum zu finden. Auftragsarbeiten sind Dinge, die an einen herangetragen werden bzw. Wettbewerbe, an denen man teilnehmen will und sich bewirbt. Manchmal kriegt man den Zuschlag, manchmal nicht. Das sind Gelegenheiten, zu den man auch mal größere Arbeiten umsetzen kann, z.b. für den öffentlichen Raum. Das ist ja sonst nicht möglich.

Rüdiger Hundt: Ich finde es auch schön, dass du für Schulen gearbeitet hast. Z. B. Für das Einstein-Gymnasium Neubrandenburg die Büste von Einstein. Oder so eine schöne Plastik mit Feder und …

Claus Lindner: … Tintenfass und Feder aus Hans-Christian Andersens Geschichte. Das war eine Herausforderung, die an mich herangetragen worden ist. Da habe ich natürlich gesagt, dass mir da schon was einfällt! Dann habe ich einen Tisch gebaut und vier verschiedene Tischbeine in Gips gedrechselt. Die sehen also alle anders aus, damit das auch interessant wird, wenn man sich die Sache anschaut. Darauf ein großes Tintenfass und eine Feder. Die Arbeit steht vor dieser Schule in Neubrandenburg und macht sich da wunderbar.

Rüdiger Hundt: Im dritten Raum stehen mehrere Arbeiten zum Thema „Europa“. Das ist dein jüngster Auftrag. Wie weit ist er gedien?

Claus Lindner: Es gab die Anfrage, ob ich eine Europa machen könnte. Selbstverständlich! Jetzt zeige ich hier im Haus Varianten und die Ausführung in 80-cm-Größe. Als nächstes ist geplant, eine Reiterin zu machen. Das hat aber zum jetztigen Zeitpunkt nicht in die Ausstellungszeit gepasst. Daher jetzt die Europa, aber eben mit diesem Bronze-Varianten in verschiedenen Formen.

Rüdiger Hundt: Falko, was sind deine nächsten Projekte? Können wir gespannt sein?

alko Behrendt: Jetzt ist tägliches arbeiten angesagt: Diese Ausstellung ist eine von zwölf in diesem Jahr. Das hier ist die dritte, es laufen auch drei gleichzeitig. Mit Überschneidung der benötigten Arbeiten und Rahmen und so weiter. Es ist also immer sehr viel zu organisieren, vielleicht mehr als beim Bildhauer, der nicht mit dem Zeug durchs Land zieht, wie ich. Da stelle ich dann oft Reihen aus, die ich begonnen habe. Während sie an der Wand hängen und ich das sehe, kommen wieder Ideen zur Fortsetzung dieser Reihe. Das sind in den letzten 30 Jahren vor allem Märchen gewesen ja, weil ich intensiv mit einer Galerie in Kopenhagen zusammenarbeite. Daher kommt die Nachfrage nach Arbeiten zu Hans-Christian Andersen.
Bei mir, bei den Grafikaufträgen, ist es ja nicht so, dass so große Dinge entstehen. Es sind in der Regel Aufträge zu Einzelblättern in Auflage. Früher war es so, dass Versicherungen und Banken und andere Einrichtung Grafiken als Jahresgabe in Auflage bestellt und an die Mitglieder gegeben haben. Das habe ich früher sehr viel gemacht, auch für Kopenhagen, eine dänische Bank, oder die Deutsche Bank. Aber heute ist es aufgrund der wirtschaftlichen Situation und meiner anderen Verpflichtung weniger geworden. Im Augenblick gibt es von öffentlicher Seite keine Aufträge. Ach, sonst arbeite ich einfach nur so vor mich hin den ganzen Tag;)

Rüdiger Hundt: Und mit großem Erfolg, wie man sieht!
Wir kennen uns ja, seit du auch in Neubrandenburg bist. Du bist als junger Künstler mit deinem eigenständigen Stil und deiner unheimlichen Gier, viel zu machen aufgefallen. Neues zu machen, Neues zu erfinden. Wer hätte damals gedacht, dass du mal zu den bekanntesten deutschen Grafiken avancieren wirst – Gratulation dazu!

Falko Behrendt: Ich?

Rüdiger Hundt: Ja, ja! Das habe ich gerade oft gelesen! Und wenn man in Münster ist, oder im Kupferstichkabinett Dresden – überall findet man Arbeiten von dir. Das ist schon toll!

Falko Behrendt: Ich wollte noch was zu sagen zu deinem Satz mit dem „eigenen Stil“: Ich bin damit eingentlich nicht all zu glücklich, weil ich denke: „Jetzt ist wieder was anderes rauszukommen, als vorher! Das sieht wieder anders aus.“ Das ist eben dieser Experimentierwillen und die Fähigkeit, was zu entdecken, mit dem ich gerade beschäftigt bin. Aber das ist dann wieder ein anderer Seitenweg. Darum sieht das alles so aus, wie es aussieht. Nicht gleichmäßig und gar nicht so einen Personalstil bis ans Ende der Tage

Rüdiger Hundt: Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche euch beiden weiterhin diese Erfolge, die verzeichnen könnt!

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. September 2024 im Kunsthaus Koldenhof zu sehen, Donnerstag bis Samstag, 11 bis 17 Uhr.

Termine, Künstlerbiografien und weitere Informationen: www.kunsthaus-koldenhof.de

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